Eine Schar erprobter Manager will mit Hystrix Medical das medizinische Beschaffungswesen von Grund auf erneuern.

Giorgio V. Müller, dem NZZ-E-Paper vom 06.08.2019

Wer etwas bewegen will, der muss viel riskieren und auch Opfer bringen. Für den 38-jährigen Philippe Hügli hiess dies vor gut zwei Jahren, einen gut bezahlten Job als Chef Schweiz des amerikanischen Medizintechnikkonzerns Boston Scientific aufzugeben und auf einen Schlag mit nur noch einem Viertel des bisherigen Salärs auszukommen. Wobei es bereits eine Leistung ist, dass eine Jungfirma wie Hystrix Medical den Mitarbeitern von Beginn weg Löhne zahlen kann.

Seither steckt der gebürtige Zürcher seinen ganzen Elan und seine Zeit in die Firma, die einen digitalen Marktplatz für Medizinprodukte aufgebaut hat und als Vision eine «Drehscheibe für das Gesundheitswesen» sein will, wie der Jungunternehmer im Gespräch erklärt. Hügli ist sich des Klumpenrisikos bewusst, denn auch seine Frau gehört als Juristin zu der mittlerweile auf 12 Personen angewachsenen Belegschaft.

Hügli studierte an der ETH Zürich Biomechanik und Logistik. Seine Idee für einen digitalen Marktplatz kam ihm vor Jahren, als er noch für namhafte amerikanische Medizintechnikunternehmen in der Schweiz arbeitete. Dabei stand er stets an der Schnittstelle zwischen den Anbietern von Medizinprodukten – seinem Arbeitgeber – und den Abnehmern, vorwiegend Spitäler und Kliniken. Die Sorgen und Nöte beider Seiten kennt Hügli deshalb zur Genüge. Bei St. Jude war er für den Vertrieb von Implantaten und Herzschrittmachern zuständig, danach bei Boston Scientific waren es künstliche Herzklappen und Stents.

Verbrauchsmaterial im Zentrum

Dieser Prozess sei äusserst kompliziert und schwerfällig gewesen, erinnert er sich. Oft habe er während Monaten mit dem Einkäufer in einem Spital hin und her verhandelt, bis es zu einem Vertragsabschluss gekommen sei. Für hochkomplexe Produkte mag dieses Verfahren tolerierbar sein. Doch für Massenware wie Pflaster, Sanitäranlagen und Spitalmöbel, aber auch einfache Implantate ist dies überflüssig. Hügli schätzt, dass dies für 50 bis 70% aller Medizinprodukte der Fall ist.

Mit Hystrix will er die Beschaffung von medizinischem Verbrauchsmaterial vereinfachen. Die Online-Plattform ist eine webbasierte Software-as-a-Service-Applikation, auf die Anbieter und Käufer einfach Zugriff haben. Anfänglich seien erst 150 Produkte auf dem digitalen Marktplatz verfügbar gewesen, der erste Abschluss betrug mickrige 150 Fr. Doch nun umfasse das Sortiment 72576 Produkte und 586 Marken, welche vier Dutzend angeschlossene Lieferanten anbieten. Finanziert wird das Ganze über eine 3%ige Transaktionsgebühr, die der Lieferant an Hystrix bezahlt. Derzeit seien gut 30 Kliniken, auch Universitätsspitäler, angeschlossen. Für die Abnehmer ist die Dienstleistung kostenlos. In jedem Spital fänden sich dieselben 10000 Medizinprodukte, derzeit sei rund ein Viertel davon auf der Plattform erhältlich.

Konkret bietet ein Lieferant seine Artikel samt Preis und Rabattstruktur auf der Plattform feil. Zur Sicherheit wird eine Zwei-Faktoren-Authorisierung samt persönlichem Passwort verlangt. Die Konkurrenz sieht seine Konditionen nicht, und er weiss erst beim Vertragsabschluss, wer der tatsächliche Käufer ist. Statt Monate dauere so der Einkauf nur noch Minuten. Der Zahlungsvorgang läuft ausserhalb der Plattform ab, um die technischen Voraussetzungen möglichst einfach zu halten. Damit alle über die Marktpreise der Artikel informiert sind, werden in anonymisierter Form die jeweiligen Konditionen publiziert.

Alles noch im Anfangsstadium

Noch befindet sich Hystrix Medical in der Aufbauphase. Über zwei Finanzierungsrunden konnten bisher 2,6 Mio. Fr. aufgenommen werden. Die dreiköpfige Geschäftsleitung besteht aus Hügli und seinen beiden Mitgründern Jonathan Campbell und Roman Eminger. Campbell war zuletzt Executive Director bei JP Morgan, nun obliegt ihm als Finanzchef das Tagesgeschäft. Eminger kam von Actelion, der von Johnson & Johnson übernommenen Schweizer Biotech-Firma.

Hochkarätig besetzt ist auch der Verwaltungsrat der Jungfirma. Als Präsident fungiert der erprobte IT-Unternehmer Hans-Peter Güllich. Mit Florian Teuteberg sitzt der Gründer und Konzernchef der Migros-Onlinetochter Digitec Galaxus im Gremium. Stephan Wehrli vertritt den Leadinvestor der ersten Finanzierungsrunde, Zühlke Ventures, und mit der zweiten Runde kam Stephan «Essi» Fischer vom Start Angels Network dazu.

Ende März hat Hystrix seinen Sitz von Solothurn nach Langenthal verlegt. «Die Berner Standortförderung war mit Abstand am freundlichsten und aufrichtig interessiert», so begründet Hügli den Entscheid.